Warum Labels gut sein können

Eine Liebeserklärung an die vielen Formen des Seins.

Was macht jemand mit zwei komplett verschiedenen Bachelor-Abschlüssen? Muss es so jemanden nicht schon qua Definitionen, in guter alter Doktor Faust Manier, ständig innerlich zerreißen?

Ich bin Jazz-Musiker. Habe Jazz-Trompete in Bern studiert. Und durchaus kann ich mit Stolz behaupten, dass ich mit diesem Instrument eine gesunde Hassliebe verbinde. Für mich gibt es fast kein wohlklingenderes und wandelbareres Instrument als dieses Stück Metall. Gleichwohl spiegelt sicherlich aber auch kein Instrument erbarmungsloser deinen inneren Seelenzustand wieder. Man hört durch die Trompete, wenn man einen schlechten Tag hatte.

Ein paar Jahre davor, als die Trompete noch eher ein ambitioniertes Hobby war, habe ich Kulturwissenschaften studiert. Auch dieses Leben habe ich geliebt. Die Universität ist ein ganz eigener Mikrokosmos. Ein bisschen losgelöst von der wahrenWelt kann man sich ausprobieren und sich selbst kennenlernen. Schließt Bande fürs Leben oder eben nur solche, die gerade die Studienzeit überdauern. Mit einem Freund gründeten wir damals eine kleine Agentur. Nach einem Jahr war damit allerdings wieder Schluss. Ihn verschlug es nach München und ich wollte unbedingt sehen, wie weit mich mein Trompeten-Leben bringt.

Bin ich nun also nur ein halber Jazz-Musiker und halber Kulturwissenschaftler? Und noch dazu noch ein gescheiterter Gründer?

Ich kann nicht sagen, dass mich diese Fragen in den letzten Jahren in eine Identitätskrise brachten. Dachte ich zumindest. Allerdings werfen künstlerische Studiengänge ja oftmals unterbewusst die Sinnfrage auf und nach meinem zweiten Bachelor stand ich abermals vor der Frage: wohin nun?

Das Problem mit dieser Frage ist, dass sie ja nur teilweise unser gegenwärtiges Leben beeinflusst dafür aber immens unser Leben in zehn Jahren. Sie sollte daher wohl richtiger lauten „Wohin die nächsten zehn Jahre?“. 

Lange Zeit war ich der Meinung, dass das Leben in Etappen verläuft, die aufeinander aufbauen. Ein bisschen wie in einem Videospiel. Mit dem Erreichen des nächsten Levels ergeben sich neue Möglichkeiten, neue Menschen treten in dein Leben und größere Ziele erscheinen am Horizont. Diese kapitalistische Linearität des Lebens setzt einen selbst aber auch unter einen großen Druck. Der Wunsch unserer Eltern, dass es uns einmal bessergehen soll, möge gut gemeint sein. Allerdings sieht es für unsere Generation erstmals so aus, als ob dies flächendeckend ein frommer Wunsch bleibt. Und warum kann man nicht sein ganzes Leben lang in einem Level bleiben oder sogar wieder auf eigenen Wunsch absteigen? 

Immer mehr junge Politiker geben ihrer öffentlichen Karriere bewusst eine Halbwertszeit und als ich vor kurzem Ähnliches von einem befreundeten Musiker hörte, fühlte sich das wie eine kleine Befreiung an, ohne dabei je gefesselt zu sein. Sicherlich spiegelt das auch ein wenig unsere modere Wegwerf-Gesellschaft wieder. Wenn Beziehungen und Freundschaften schon nicht mehr für ein ganzes Leben gemacht sind, wie sollte es da ein Job sein? Was hält heute noch für die Ewigkeit?

Gleichwohl öffnet dieser Gedanken einem selbst aber auch neue Perspektiven. Heute fühlt sich diese oder jene Beschreibung, dieses oder jenes Label, für mich gut an. Möglicherweise auch noch in zehn Jahren. Aber dann?

Am Ende ist das Leben nämlich kein Videospiel, sondern gleicht eher einer gemütlichen Überlandfahrt in Richtung Südfrankreich. Man entscheidet frei, wo man gerne seine Rast verbringen möchte und wie lange man einem Ort verweilt. Und falls man unterwegs feststellt, dass der vorherige Ort schöner war als der aktuelle, ist es auch vollkommen in Ordnung wieder an diesen zurückzukehren.

Übrigens fielen mir diese Gedanken beim Joggen ein. Ich bin also auch Hobbyläufer, Hobbykoch, Thekenphilosoph…

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